Istanbuler Männerträume

... eure Reiseberichte aus der Türkei
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Frank J.
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Registriert: Fr 7. Mai 2010, 18:44

Istanbuler Männerträume

Beitrag von Frank J. »

Im Herbst/Winter 2009/2010 habe ich eine Wohnmobilreise bis in den Oman unternommen. Dabei sind einige Reise-Artikel entstanden, auf die ich hier gerne hinweisen möchte.

Sicher war die Fahrt bis auf die Arabische Halbinsel mit einem 1992er Knaus ein besonderes Abenteuer, das aus dem üblichen Rahmen fällt, doch vielleicht ist so ein Erlebnis ja auch für andere Wohnmobilisten interessant.

Nun endet "die Welt" in diesem Blog in der Türkei, also kann ich nichts über den Iran oder den Oman einstellen -- aber ich habe ja auch etwas aus der Türkei:


Istanbuler Männerträume
Vor allem schnell
Die beste Partnerin von allen und ich haben auf unserer Wohnmobilreise einen Motorroller dabei, den wir in grösseren Städten gerne benutzen: Zum einen ist das wesentlich unauffälliger als das knapp acht Meter lange Reisemobil, zum anderen können wir so auch ausserhalb einer Stadt parken und diese trotzdem bequem erreichen. In Istanbul «wohnen» wir zwar sehr zentral an der Sultanahmet-Moschee, doch auch hier ermöglicht die kleine Piaggio, die Stadt hautnah zu erleben. Manchmal sehr hautnah, wenn unsere Beine an den Autos entlangschrammen …

Am Marmarameer entlang bis zum Goldenen Horn führt die Strasse Kennedy Caddesi um die Halbinsel der Altstadt von Istanbul herum. Will man vom südlichen Teil schnell in den nördlichen, so ist es sehr sinnvoll, diese Umgehung zu benutzen. Über die wesentlich kürzeren, aber oft engen und verwinkelten alten Gassen ist der Weg meist zeitaufwändiger.

Wir «schwimmen» also auf der Kennedy mit dem Verkehr mit — und das bedeutet hier, dass wir knapp 70 km/h auf der zwar vierspurigen, aber schlecht beleuchteten und mit einigen Schlaglöchern versehenen Strasse vorlegen müssen. Erlaubt sind 50.

Fussgängern gestattet man grosszügig, diese Schneise auf einigen Überwegen zu queren. Der Verkehr wird an diesen Stellen durch Schilder auf 30 km/h abgebremst — theoretisch. Kein echter Istanbuler Autofahrer würde auch nur entfernt daran denken, hier einen Zehntelmillimeter vom Gas zu gehen. Um nicht von nachfolgenden Fahrzeugen versehentlich gerammt zu werden, bleibt nichts anderes übrig, als diese Fahrweise zu adaptieren. Nun hat ein Istanbuler Autofahrer aber nicht nur den Wunsch, möglichst schnell voran zu kommen — er ist auch ehrgeizig. So einen kleinen Roller muss man doch wohl überholen können! Und so spurtet immer mal wieder jemand mit deutlich höherer Geschwindigkeit als unseren 70 km/h an uns vorbei — rechts oder links, das ist völlig egal. Hupen kann hierbei das männliche Selbstwertgefühl offenbar noch ein wenig mehr heben.

Natürlich zählt die westliche Türkei zu den südeuropäischen Landstrichen und dort sehen wir solche Verhaltensweisen mit einem gewissen romantisierenden Blick — doch wehe dem, der hier ein Unfallopfer wird. Respekt und Rücksicht, das sind im Istanbuler Strassenverkehr Fremdwörter.

Der ADAC weist auf seinen Internetseiten zur Türkei darauf hin, dass Fahrradfahren dort nur mit einem Helm gestattet ist. Vorschriften für das Führen von motorisierten Zweirädern gibt der ADAC nicht — aber irgendwie zu Recht: Solche Dinge sind in der Türkei von heute einfach egal. Die beste Partnerin und ich fahren auf unserem Motorroller natürlich immer mit Helm. Ein Istanbuler macht das nur selten: Kaum einmal fällt uns ein so geschützter Motorradfahrer auf. Ich habe sogar einen Polizisten auf seiner schweren Maschine gesehen, der statt eines Helms eine Baseball-Kappe trug.

Fussball geht immer
Auch wenn die Türkei die Qualifikation zur WM in Südafrika nicht geschafft hat, so ist die Begeisterung ungebrochen für 22 Beine, die hinter dem runden Ball herjagen (die anderen 28 Beine auf dem Platz werden mit weniger Wohlwollen bedacht). Über das Thema Fussball lässt sich auch in Istanbul fast immer ein Gespräch führen.

In den Basaren hilft das manchmal sogar, nicht in der üblichen plumpen Weise angesprochen zu werden: Dieser nette, junge Teppichhändler will uns weder mit Tee, noch mit guten Worten in seinen Laden locken, der bestimmt unwiderstehliche Ware enthält.

Statt dessen fachsimpeln wir über die türkischen Spieler in der Bundesliga, das bevorstehende Champions-League-Spiel Wolfsburg gegen Istanbul und warum türkische Mannschaften oft klasse spielen, dann aber letztendlich doch noch verlieren. Ach, liebe Türken, guckt euch bloss nichts von unserem erfolgreichen Rumpelfussball ab, sondern kickt weiter mit Spielwitz und Begeisterung. Unterhaltsamer ist das allemal.

Millionen Nieten
Apropos Basar: Wer bei uns in Deutschland ein paar Nieten sucht, zieht entweder bei einem überwiegend zahnlosen Verkäufer ein Los — oder er geht in den Baumarkt. Dort findet er Nietenzangen zu Apothekerpreisen (eine Entschuldigung geht natürlich umgehend an unseren Reichelsheimer Arzneilieferanten Herrn Müller!) und — um im Bild zu bleiben — Nieten in homöopatischen Dosen. Im Istanbuler Grossen Basar gibt es einen Bereich, der lässt bezüglich solcher Heimwerkergelüste jedes Männerherz schneller schlagen. Beutelweise Nieten in jeder Grösse und möglichen Farbe kosten — ebenso wie das notwendige Zubehör — so gut wie nichts. Nun kann man über Preise, Wechselkurse und Kaufkraft sicher streiten, doch eine solche Auswahl stünde jedem deutschen Baumarkt gut an. Statt dessen verkauft man in unseren heimischen Heimwerkerläden lieber rrröstfrischen Kaffee und billigen Wein.

Das lässt mich als verzweifelten Kunden vermuten, dass es doch genügend Nieten gibt in unseren Baumärkten — hier allerdings in den Führungsetagen.

Kleine Fische
Ob die grossen Haie, also die erfolgreichen und schicken Istanbuler Geschäftsleute, sich auch auf die Galatabrücke stellen, um den Fischen Schnur und Haken hinterherzuwerfen? Meist wirken die ködernden Männer am Brückengeländer eher wie ganz durchschnittliche Bewohner der Stadt. Man kann das Angeln in der Türkei durchaus als Volkssport einstufen, wenn auch erst an Nummer zwei hinter Fussball. Kein Fernsehbericht über die Stadt am Goldenen Horn lässt die Bilder der Angler auf der Galatabrücke aus, die dort an manchen Tagen zu Hunderten stehen: Zu schön kann man davon ein paar Stimmungsbilder machen.

Noch nie habe ich allerdings eine Frau gesehen, die diesem Hobby frönte. Interessierte Blicke weiblicher Passanten kann man zwar ab und zu erspähen — doch ist das nicht alltäglich. Vermutlich wartet das schöne Geschlecht daheim darauf, welche kulinarischen Schätze Mustafa und Mehmet dem Meer abgerungen haben. Und wenn den Helden an der Angelschnur der Petri einmal nicht heil sein sollte, so gibt es am Nordwestende der Brücke ja immer noch einen Fischmarkt, um gegenüber der Angetrauten das Gesicht zu wahren.

Verschnaufen
Nach so viel Tagesmüh sehnt sich der Istanbuler nach ein wenig Ruhe. Von der Galerie des berühmten Galataturms aus kann man einigen dabei zusehen: Ob in einer Hängematte, auf einer Liege oder einem Stuhl — in der Türkei versteht man sich aufs Verschnaufen nach all den anstrengenden Geschäften. Die Menschen der Stadt vermitteln eine angenehm lockere Atmosphäre, von der wir in Almanya in mancher Beziehung sicher etwas lernen können. Nun ja, wenn’s ums rücksichtslose Autofahren geht, sind manche unserer heimischen Zeitgenossen bereits heute gar nicht so weit entfernt von den durchschnittlichen Istanbuler Männern.

-Frank

PS. Mit Bildern gibt's den Bericht hier.


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